Samstag, 26. März 2016

Die Bibel - Buch von Menschenhand

.
Solange man als die reinste Quelle “Göttlichster Wahrheit”, als heilige Norm der “Vollendetsten Moral”, als Grundlage von Staatsreligionen ein Buch mit, milde gerechnet, 50 000 Textvarianten (also pro Druckseite durchschnittlich 30 strittige Stellen!)
proklamiert; dessen Inhalt widerspruchsvoll und oft dunkel ist; selten auf das außerpalästinensiche Leben bezogen; und dessen brauchbares Gute (schon vor ihm und zun Teil besser bekannt) auf unhaltbaren Gründen eines verdächtig-finsteren theosophischen Enthusiasmus beruht : solange verdienen wir die Regierungen und Zustände, die wir haben! Die Theologen wollen mit Gewalt aus der Bibel ein Buch machen, worin kein Menschenverstand ist. Die Haare stehen einem zu Berge, wenn man bedenkt, was für Mühe auf ihre Erklärung gewendet worden ist; und was war am Ende, nach Jahrtausenden, der jedem Unbefangenen von vornherein selbstverständliche Preis all der Bemühungen?: kein anderer als der : Die Bibel ist ein Buch, von Menschen geschrieben, wie alle Bücher. Von Menschen, die etwas anders waren als wir, weil sie unter etwas anderen Bedingungen lebten, die in manchen Stücken unverkünstelter waren als wir, dafür aber natürlicherweise auch sehr viel unwissender. Daß sie also ein normales Buch ist, worin manches Wahre und manches Falsche, manches Gute und manches Schlechte, enthalten ist. Je mehr eine Erklärung die Bibel zu einem ganz gewöhnlichen Buch macht, desto besser ist sie; und all das würde auch schon längst geschehen sein, wenn nicht unsere Erziehung, unsere unbändige Leichtgläubigkeit und die “gegenwärtige Lage der Dinge” dem entgegen wären.

Nur diese aus Hunderten von Beispielen, die man dem gesunden Menschenverstand und der heranwachsenden Jugend, ich weiß nicht, ob zur Bildung oder Verwirrung, in die Hände gibt: Lot treibt in sinnloser Betrunkenheit Blutschande mit den eigenen Töchtern : Das war der frömmste Mann seiner Stadt! Joseph, das schmeichelnde Schoßkind, wird ägyptischer Minister, durch eben das fragwürdige Talent, das er im Hause seines Vaters gebildet hat. Er legt in den fetten Jahren Magazine an : sehr lobenswert! Was aber tut er später damit? Rettet er das verhungernde Land, “in Frieden und Freiheit”, und wird sein Wohltäter? — Um es mit einem Wort zu sagen : Er bringt es in Sklaverei! Erst muß man ihm Wucherpreise für sein Korn zahlen; dann bringen die Einwohner ihre arm-sonstige Habe; dann verschleudern sie gezwungenermaßen ihre Grundstücke; zuletzt verkaufen sie sich selbst zur Knechtschaft : “Die Rede gefiel Pharao und seinem Kabinette wohl”: Das ist doch einmal ein Finanzminister! Mir ist in den Annalen der Menschheit kaum ein größerer Bube bekannt!! : Und der wird aufgestellt, der Jugend und dem gläubigen Volke zum Vorbild?? Meint man denn, wir hätten keine Augen und Ohren mehr?! Saul, der hohe, großmütige, königliche Mann, wird verworfen, weil er dem Propheten Samuel die Amalekiter nicht genug “würgt”; auch nicht genau nach Vorschrift würgt. Freilich ist da der Knabe Isais priesterfolgsamer; er, der die Weiber verführt; weitblickend die 7 Prinzen des früheren Königshauses beseitigt; die toten Feinde unten rum skalpiert, und die noch lebenden “unter eiserne Sägen und Zacken legte, und eiserne Keile, und verbrannte sie in Ziegelöfen” – dafür wird er dann aber auch als “Mann nach dem Herzen Gottes” bezeichnet : Der Himmel behüte mich, daß ich je ein Mann nach dem Herzen Gottes werde!! Ist das erschauernd “von Gott diktiert” oder ‘ne simple briefliche Mitteilung, wenn Paulus schreibt : “Den Mantel, den ich in Troas bei Karpus gelassen, bringe mir bitte mit, ebenso die Bücher.”?

Bei heutigen Schriftstellern ist man mit gerichtlicher Verfolgung “wegen Pornographie, Gotteslästerung und anderem” rasch bei der Hand; zumal, wenn das betreffende arme Luder nicht Mitglied der gerade jeweils herrschenden Partei sein sollte: Warum aber schreitet man dann nicht auch gegen Schilderungen ein, wie sie jedes Jahr millionenfach in allen Kultursprachen verbreitet werden; Schilderungen, in denen, mehr als bei jedem modernen Realisten, oben “junge Brüste steif” werden und unten “Haare kräftig sprießen”. Und alles wird ausgiebig “betastet” von Liebhabern, merkwürdigerweise “insgesamt wie Offiziere anzusehen”, von “Buhlen, die Glieder hatten wie Esel und Samenerguß wie die Hengste” und “die Adern ihrer Scham starren wie Äste”… Eltern, holt die Kinder rein! (denn auch “symbolische oder kultische Unzucht” bleibt, wenn man mit dem Begriff schon literarisch und strafrechtlich zu manipulieren gedenkt, Unzucht! Oder ist das “naturalia non sunt turpia” etwa nur christliches Privileg? Und Goethe und Hemingway sind Schweine?)

Muß ich noch erwähnen, daß man aus ein und derselben Bibel gleichwertige Argumente und Beispiele holen kann : für und wider Krieg und Frieden; für Einehe oder Polygamie; (und was gibt es da für göttliche Finessen : Sadika- und Leviratsehe; Brautraub und -kauf; Sklavinnen, Konkubinen und “Ehen auf Zeit” – mehr als im rötesten Rußland!) für orientalisch-anmutigste Lüsternheit ebenso wie für die Selbstkastrierung der Skopzen; “in coena domini” verflucht man sich gegenseitig periodisch, die Mormonen nennen sich Christen und belegen es mit so vielen Bibelzitaten, daß einem der Kopf schwindelt; dazu die endlosen inneren Widersprüche, auch der Evangelien, a la “Wolfenbüttler Fragmente” : da kann doch wohl von einer “einfachen, selbstverständlichen, leicht faßlichen Wahrheit” nicht die Rede sein! (und ich warne hier gleich einmal alle “ernsthaften Bibelforscher” vor den kursierenden Übersetzungen! Aus Luthers hochpoetischer reizendfalscher “Nachthütte in den Kürbisgärten” wird im Urtext ein waidmännischsachlicher “Jagdhochstand in den Gurkenfeldern”; und so fort, bis in die heiligsten Definitionen hinein. Also : cave!) (Nicht daß man in meiner Handbibliothek keine Bibeln finden würde : Ich lese das “Groß wüst Buch”, den “Schlüssel von Sankt Peter” durchaus; wer dürfte das auch unterlassen, angesichts der immer merkwürdigen globalen Wirkung, die es hatte? Aber ich lausche seinen Stimmen, den lieblichen und vergaunerten, lediglich historisch-literarisch; wie all den andern heiligen Rufern auch : dem Steinmaulgeklappe des Gilgamesch, den feurigen Bässen des Koran, dem geduldigen Weisheitsgewäsche Buddhas [und "Candide" und der "Tristram Shandy" sind mir, ich gestehe es frei, lieber; auch Shakespeare oder Don Quijote, selbstverständlich].)


Gruß Hubert

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen